Ausstellung in der Galerie im Goldbach Center Küsnacht

MARIANNE KLEIN - DIE ANDERE SEITE

16. Mai bis 30. Juni 2013

Vor einigen Jahren verblüffte mich Marianne Klein in ihrem Atelier: Sie rollte grosse, Packpapier-ähnliche Papierbahnen am Boden aus. Darauf: Figuren, Schemen in Schwarz und Weiss, dazwischen wenig Grau, alles wie unvermittelt hingeworfen. Eine Konfrontation gegenüber ihrem geordneten und überwiegend heiter gestimmten Farbkosmos aus horizontal oder vertikal gerichteten Bändern, Quadraten oder Rechtecken, in denen sich die all-over Pattern der Pinselstriche nahezu musikalisch zu Farbwolken, -stürmen und -tänzen zusammenfinden.

Hier nun wurde das Bild offensichtlich Bühne miteinander ringender Kräfte: Das Dunkel, das Licht, dazu die Schemen, sehr häufig menschliche Silhouetten, und stets die Bildmitte als Zentrum der Stürme, welche das Bildganze hervor treiben. Marianne Klein selbst nennt das Werden dieser Arbeiten eine Übung „zur Lockerung und zur Befreiung“, aus der sich dann eine „Notwendigkeit“ entwickelte. Die bewusste Regie (Wahl des Schwarz/Weiss, damit nichts die Trance der reinen Aktion stört) schliesst aus, diese Arbeiten als nebensächlich, als beiläufige, quasi therapeutische Lockerungsübungen anzusehen, auch wenn Marianne Klein das in ihrem Statement zu diesen Arbeiten nahe legen möchte. Aber gerade die entschiedene Beschreibung der Entstehung wie auch eine Analyse der Struktur der Arbeiten zeigt einen Gestaltungswillen am Werk, der schlussendlich auch Marianne Kleins der Farbe gewidmete Malerei lenkt und beherrscht.

Wesentlich ist beiden Werkgruppen das Rhythmische, der tanzende Duktus der einzelnen Farbsetzungen, der ruhig oder heftig (Pinselschwünge, Pinselhiebe) ausfallen kann. Ebenso finden sich hier wie dort den unterschiedlichen Kräften zugestandene Aktionsradien: wo bei der Farbmalerei geometrische Formen die Wirkfelder einzelner Farben gegeneinander abgrenzen, bilden sich in den Schwarz/Weiss-Bildern organisch begrenzte Flächen, die auch mit der gegenständlichen Form in eins fallen können, etwa mit dem Umriss der menschlichen Figur, einer Wolke, einem Felsen. So ist in Marianne Kleins bisher bekannter Malerei die Farbe der Bildakteur in geometrischer Gestalt, in den Bildern der „anderen Seite“ ist die schwarze oder weisse Bildfigur der Akteur in wechselnder Form von Mensch, Wolke, Kopf, Baumstamm, Felsformation etc. Dabei interessieren diese Bildfiguren zunächst als gestalterische Bildelemente. Da sie aber kraft der von ihnen angestossenen Assoziationen auch Träger eines ausserbildlichen Inhalts sein können und auf Emotionen, Seelenlagen, Urzustände der Psyche verweisen, sind sie auch als Sinnbilder gemeint und lesbar. Kampf, Gefahr, Wildheit, Bedrohung, Kraft, Widerstand, Mut werden sichtbar, Annäherung und Abstossung, die Dualität der Geschlechter und die Nähe zum Chaos, in dem Auflösung und Neubildung in eins fallen.

Sieht man von der inhaltlichen Dimension ab und richtet das Augenmerk wieder auf die Grundstruktur der Bilder, findet sich eine weitere, subtile Parallele zwischen den Schwarz/Weiss-Bildern und den von Marianne Klein als „konstruktiv, rational“ bezeichneten Farbgemälden. Bei allem Aufruhr herrscht in den Schwarz/Weiss-Bildern eine über die vertikale oder horizontale Bildmitte balancierte Bewegung der Kräfte. Diese auf die Mitte bezogene Ordnung erinnert an die oft zentral gesetzten Farbfelder, die von einer anderen Farbkraft umringt sind, oder an die links/rechts- bzw. oben/unten Teilungen, über deren senk- oder waagerechte Trennlinie die Farben interagieren.

Marianne Kleins beide Seiten als Malerin stehen, bei aller Verschiedenheit, in einem inneren Zusammenhang, beide folgen ähnlichen Strukturen – vielleicht darf man auch von einem „inneren Gesetz“ sprechen. Es offenbart sich die Verwandtschaft der einander auf den ersten Blick so fremden Pole ihres Werkes. Überraschend erscheint dabei, dass Marianne Klein die Bildwerdung der Emotionen den abstrakt-kühlen Nichtfarben überantwortet, wogegen sie die zumeist mit dem Ausdruck von Gefühlen assoziierten Buntfarben gebraucht, um sie in rational geplante, inhaltlich neutrale Bildformen zu fassen. Man mag dies, suchte man eine Erklärung, aus ihrer ehemaligen Ausbildung zur und Tätigkeit als Textildesignerin herleiten. Dort sind Farben keine Ausdrucksträger, sondern „neutrale“ Gestaltungsmittel. Man mag auch daran denken, dass sich Marianne Klein, als sie sich 1980 ganz zur freien künstlerischen Tätigkeit entschloss, dem konstruktiven Bildschaffen zugewandt hat, und im Kosmos der konkret-konstruktiven Kunst ist Farbe ebenfalls ein Gestaltungsmittel, kein Emotionsträger. Folglich bleibt für die „andere Seite“, wo Gedanken und Empfindungen, Gefühle und Fragen in inneren Auseinandersetzungen münden, die Welt der Nichtfarbigkeit, der baren Kraft der Dualität von Licht und Dunkel. Diese andere Seite ist nun erstmals zu sehen – und ist ihre Entdeckung wert.

John Matheson